Wie ein zerbrochenes Kirchenfenster zu einem Kunstwerk für den Frieden wurde
1945 sammelt ein amerikanischer Militärkaplan in Trier Scherben der zerstörten Fenster der Liebfrauenkirche ein. Jahrzehnte später entsteht aus den Bruchstücken ein Kunstwerk, das an den Frieden mahnt. Es ist in San Francisco hoch über der Golden Gate Bridge zu sehen.
Im März 1945 gleicht Trier einer Geisterstadt. Weite Teile liegen in Trümmern, nur wenige Menschen leben noch in den Häusern. Über dem Hotel Porta Nigra weht das Sternenbanner, Einheiten der 3. US-Armee hatten Trier am 2. März nachts im Handstreich eingenommen. Wenige Tage später schaut sich Frederick („Fred“) McDonald (*20. September 1908 in Seattle) die Sehenswürdigkeiten Triers an – oder das, was davon noch übrig ist. McDonald ist Militärkaplan im Hauptquartier der rund 900.000 Mann starken 12. Armeegruppe unter dem Befehl des Generalleutnants Omar N. Bradley, die sich von der Normandie bis nach Trier kämpften.
Der Weg durch ein zerstörtes Europa
Überall auf den Stationen seines Weges durch England, Frankreich, Belgien und Deutschland findet McDonald Tod und Zerstörung. „Niemand kann sich vorstellen wies es ist, durch diese Verwüstung zu gehen, in der sonst niemand mehr ist“, erinnerte McDonald sich später. Die Erfahrung, wie Krieg das, was die Menschheit ausmacht, einfach auslöscht, prägt den anglikanischen Geistlichen, den als Mann Gottes auch die Zahl der „zerstörten Kirchtürme“ auf seinem Weg durch England, Frankreich, Belgien und Deutschland betrübt. „Es gab überall Glas und ich nahm eine ganze Reihe dieser zerbrochenen Stücke mit, die durch die Explosion der Bomben geschwärzt waren. Die Scherben stellten etwas Tiefes dar, etwas, an das man sich erinnern sollten“.
Am 8. März führt ihn sein Weg im Gefolge der 12. Armeegruppe auch nach Trier, wo am Vortag die höchsten US-Militärs Eisenhower, Bradley und Patton zu Gast waren. Eisenhower, Oberkommandierender der Alliierten in Europa, zeichnete den Eroberer der Stadt für seine Tat mit einem Orden aus. Vom US-Hauptquartier zieht es den Militärkaplan in die alte Römerstadt, die vom Krieg schwer gezeichnet ist.
Das gefallene Kreuz in der Liebfrauenkirche
„Amerikanische Soldaten durchkämmten die Trümmerhaufen, die einst Gebäude und Kirchen waren“, erinnerte sich McDonald später an seinen Aufenthalt an der Mosel. Sein Weg führt ihn ins Zentrum der Stadt vor die Doppelkirche, bestehend aus Dom und Liebfrauenkirche. Die Außenmauern der gotischen Liebfrauenkirche stehen zwar noch, „aber die Holztüren waren aufgesprengt.“ Ein Schild in englischer Sprache verbot den Eintritt, so wollte die amerikanische Armeeführung bedeutende Kunstwerke davor bewahren, als Souvenirs amerikanischer GIs zu enden. „Ich trat ein und betrachtete nachdenklich das Kreuz auf dem Boden und die Statue der Mutter Gottes, die zu ihrem niedergeworfenen Sohn hinabblickte.“ Die Szene in der von Bomben getroffenen und schwer beschädigten Liebfrauenkirche berührt den anglikanischen Geistlichen tief. McDonald, der schon vor dem Krieg Europa und Deutschland bereist hatte und sich immer für Architektur und besonders Glaskunst interessiert hatte, bemerkt inmitten der Zerstörung die vielen bunten Glasscherben und hebt ein paar der bunten Bruchstücke der vom Luftdruck der Explosionen zerstörten Kirchenfenster auf, nimmt sie mit.
So hat er es bereits zuvor in Coventry, London, Périers, Coutances, Verdun, Metz, Thionville, Malmedy, Dinant, Bastogne, Maastricht und Aachen getan. Und so wird es nach seinem Besuch in Trier auch in Köln, Wiesbaden, Frankfurt, Nürnberg, Berchtesgaden und Biarritz tun. Die Scherben schickt er, säuberlich beschriftet, mit der Post nach Hause. Vielleicht, so denkt der Militärkaplan, könnten die Scherben irgendwo in ein Gedenkfenster eingearbeitet werden. Es sind nur kleine Bruchstücke. Aber: „Es ist so oft eine Kleinigkeit, die eine Flut oder Erinnerungen im Kopf zurückbringen kann.“
Dann endet der Krieg. Fred McDonald feiert mit den Generälen des alliierten Oberkommandos am 8. Mai 1945 einen Gedenkgottesdienst, in dem er von den Schmerzen der Kriegsereignisse predigt und von der Trauer über das, was geschehen ist „Die Belohnung, die bleibt, ist jedoch der Frieden. “ Die Predigt wird sogar von NBC in die USA übertragen.
Eine Idee, die Jahrzehnte brauchte
54 lange Jahre liegen anschließend die Glasscherben als Zeugen der Zerstörung des Zweiten Weltkriegs und McDonalds Weg durch Europa anschließend säuberlich verpackt in beschrifteten Umschlägen in einem Pappkarton in McDonalds Haus. Darunter auch die 43 Glasscherben aus der Liebfrauenkirche. Der weit gereiste, weltgewandte und abenteuerlustige Geistliche ist mittlerweile 90 Jahre alt. Eines Abends erzählt Frederick McDonald bei einem gemeinsamen Essen zu Hause in San Francisco seinen erstaunten Gästen die Geschichte seiner Glasscherben-Sammlung und von seiner Idee eines Gedenkfensters.
Eine der Teilnehmerinnen des Abendessens, Jean Wright, wendet sich an ein Atelier für Glaskunst bei San Francisco.
Dort arbeitet eine französische Glasmalerin, Armelle LeRoux. Sie trifft sich mit McDonald, die beiden freunden sich an. LeRoux führt Gespräche mit dem Geistlichen im Ruhestand, schreibt alles auf, schaut sich die Fragmente der Fenster an – das „McDonald Memorial Peace Windows-Projekt“ war geboren. LeRoux wird Kuratorin und wählt ein Team aus 13 Künstlerinnen und Künstlern aus, Spenden werden gesammelt. Zunächst ist die Idee, aus den Scherben ein einziges Fenster zu erschaffen.
Remembered Light: Zerbrochenes wird zu Kunst
Doch die vielen einzelnen Geschichten und Details, an die sich der begnadete Erzähler McDonald auch Jahrzehnte später erinnert, inspirieren die Glaskünstler zu einem anderen Vorgehen: Für jeden Ort, an dem McDonald Glasscherben gesammelt hat, entsteht aus den alten Scherben und neuen Materialien ein Glasbild, das McDonalds Geschichten künstlerisch wiedergibt, die er drei Jahre lang den Künstlern immer wieder erzählt.
Am 9. März 2002 stirbt Frederick McDonald. Weitere fünf Jahre nach seinem Tod wird seine Idee von eines Gedenkprojektes endlich Wirklichkeit. Aus Frederick McDonalds Weltkriegsscherben und -erinnerungen haben international bekannte Glaskünstler 25 Glaskunstwerke geschaffen, die Themen wie Verlust, Verwüstung und das Streben nach Frieden künstlerisch aufgreifen.
Zusammen bilden die Kunstwerke die Ausstellung „Remembered Light: Glass Fragments from World War II, the McDonald Windows“. Die alten Scherben aus Triers Liebfrauenkirche hat der amerikanische Glaskünstler Peter K. Eichhorn in ein Glasbild eingearbeitet, das McDonald zeigt, wie er in der Trierer Kirche am 8. März 1945 das herabgefallene Kreuz betrachtet
Ein Amerikaner aus Trier erschafft Glasbild aus Liebfrauen-Scherben
Das Besondere: Eichhorn ist selbst gebürtiger Trierer und hat sein Handwerk und seine Kunst bei der Glaswerkstatt Binsfeld in der Saarstraße erlernt. „In Trier geboren und aufgewachsen, ist es mir eine Ehre, an diesem Projekt beteiligt zu sein und mit Scherben aus der Liebfrauenkirche zu arbeiten“, schreibt Eichhorn über seine Arbeit mit den Bruchstücken aus der Trierer Kirche, „ich hoffe, dass dieses Gedenkkunstwerk uns hilft, klarer zu sehen, was die Menschen während des Krieges durchgemacht haben. Mit gegenseitigem Verständnis und Respekt bleiben Veränderungen möglich.“
Eichhorns Buntglasfenster aus geblasenem Glas mit den eingearbeiteten 43 Scherben aus Trier ist rund 92 mal 114 Zentimeter groß. Dauerhaft zu sehen sind die Kunstwerke in der Presidio Chapel in San Francisco hoch über der Golden Gate Bridge.
Die Kapelle gehört zum Presidio Interfaith Center, einer interreligiösen Organisation, die auch Friedensarbeit betreibt. Ein guter Platz für die durch Bomben zerstörten Reste der Kirchenfenster, die zeigen, dass auch aus Krieg und Zerstörung Frieden und Kunst werden kann.
Mit herzlichem Dank an das Interfaith Center at the Presidio in San Francisco für die freundliche Genehmigung zur Nutzung der Bilder.
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Silvia (Sonntag, 18 Oktober 2020 13:46)
Toller Bericht, ich bin immer wieder total begeistert über die wertvollen historischen Beiträge!
Anna (Sonntag, 18 Oktober 2020 14:23)
Eine tolle Geschichte. Wie schade, dass ich davon nokh nicht wusste, als ich 2016 in San Francisco war!
Simon (Dienstag, 20 Oktober 2020 11:48)
Schöne Geschichte, von der ich noch nie etwas gehört habe, obwohl ich alles an Büchern zur Geschichte Triers in der Zeit habe!
Christine Gindorf (Sonntag, 04 April 2021 12:04)
Ich bin total berührt von dieser Geschichte: Im Zusammenhang mit einem Gottesdienst zum Thema "Scherben" habe ich sie meinen Senioren im Seniorenzentrum der BBT in Trier erzählt und ihnen eine Karte geschenkt mit dem Fenster von Peter Eichhorn; das hat unheimlich viel bei ihnen ausgelöst, und wo ich jetzt noch eine Gänsehaut bekomme: Eine Frau, die direkt neben mir saß, sagte: "Ich war damals 16 Jahre alt, ein paar andere und ich haben damals dort in Liebfrauen aufgeräumt, Scherben zusammengekehrt - ich weiß nicht, wer uns den Auftrag gegeben hat".
Ich persönlich wünsche mir, dass die Ausstellung auch in Trier gezeigt wird - am besten natürlich in Liebfrauen!
Vielen Dank!